[717]Editorischer Bericht
Zur Entstehung
Bei dem nachfolgend edierten Text handelt es sich um ein Textfragment, das Marianne Weber im Nachlaß ihres Mannes vorfand und zwar – wie sie erst Jahrzehnte später gegenüber Johannes Winckelmann mitteilte – in einem nicht zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ gehörenden Konvolut.
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Sie veröffentlichte den kurzen Text im Jahre 1922 gesondert als Aufsatz in den „Preußischen Jahrbüchern“.[717] Brief von Marianne Weber an Johannes Winckelmann vom 6. Mai 1948; hier nach Winckelmann, Johannes, Max Webers Opus posthumum. Eine literarische Studie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 105, Heft 2, 1949, S. 368–387, hier: S. 378, Anm. 5; dass. Winckelmann, Webers hinterlassenes Hauptwerk, S. 119 mit Anm. 70. Trotz des Hinweises auf den Brief Marianne Webers im Vorwort zur 3. Auflage der Gesammelten Aufsätze zur Wissenschaftslehre (Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1968, S. X, Anm. 3), konnte der Originalbrief im Nachlaß Johannes Winckelmann, BAdW München, nicht aufgefunden werden.
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Die Entstehungsgeschichte des Textfragments liegt im Dunkeln. Briefliche oder andere Äußerungen Max Webers zu diesem Text sind nicht überliefert, so daß der Entstehungszeitraum durch textinterne Hinweise und einen Vergleich mit anderen, genauer datierbaren Texten zum Thema erschlossen werden mußte. Weber, Max, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. Eine soziologische Studie, in: Preußische Jahrbücher, Band 187, Heft 1, Januar 1922, S. 1–12; vgl. auch unten, S. 723 f.
Der Text umreißt in knappen Sätzen die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft sowohl in ihren Hauptmerkmalen als auch in ihren Beziehungen zur Rechts- und Wirtschaftsstruktur. In der Art der systematischen Gliederung sowie der definitorischen Prägnanz und Kürze steht er dem dritten Kapitel der ersten Lieferung zu „Wirtschaft und Gesellschaft“,
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das 1919/20 geschrieben worden ist, wesentlich näher als den nachgelassenen Texten zur „Herrschaftssoziologie“, die in der Vorkriegszeit entstanden sind. Trotz der konzisen Formulierungen des Textes „Die drei reinen Typen“ gibt es Unstimmigkeiten in der Untergliederung, Vgl. Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 122–176 (MWG I/23).
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die nahelegen, [718]daß eine Schlußredaktion Max Webers unterblieben ist. An drei Stellen des Textes wird auf nachfolgende Darlegungen über den Einfluß der Wirtschaft, insbesondere der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, auf die Ausgestaltung des modernen Staates verwiesen. Während die Unterpunkte zu den Abschnitten I. und II. (legale und traditionale Herrschaft) mit 1., 2., 3. durchgezählt sind, erfolgt die Unterteilung im Abschnitt III. „Charis[718]matische Herrschaft“ mit a), b), c) usw. (vgl. unten, S. 735). Weitere Unterteilungen zu Unterpunkt d) erfolgen wiederum durch a), b), c) und die Zählung 1. bis 5. (unten, S. 740 f.).
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Diese Verweise werden allerdings nicht eingelöst und haben auch keine direkte Entsprechung in anderen überlieferten Texten Max Webers. Vgl. unten, S. 727 mit Anm. 1, S. 728 mit Anm. 5 und S. 732 mit Anm. 12.
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Es handelt sich bei dem hier vorliegenden Text daher nicht um ein in sich geschlossenes Textganzes, sondern um ein Textfragment, das in die Herrschaftslehre einführt. Aufgrund dieses einleitenden Charakters ist die Vermutung naheliegend, daß es dem Kapitel „Die drei Typen der legitimen Herrschaft“ – wie von Max Weber in der Disposition zum „Grundriß der Sozialökonomik“ im Juni 1914 angekündigt – entsprochen und somit den großangelegten Abschnitt über die „Herrschaftssoziologie“ eröffnet haben könnte. In den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“ (WuG1, S. 31–121; MWG I/23) werden zwar einige wirtschaftliche Rahmenbedingungen für den modernen politischen Verband benannt (ebd., S. 117 ff.), jedoch keine Verknüpfung zur Entwicklung des modernen Staates hergestellt. Denkbar wäre, daß Weber Entsprechendes in dem nicht überlieferten, aber in der „Einteilung“ des GdS angekündigten Kapitel „8. d) Die Entwicklung des modernen Staates“ (GdS1, Abt. I, 1914, S. XI; MWG I/22-6 [[MWG I/24, S. 169]]) abgehandelt hätte.
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Dieser Zuordnung widersprechen aber die textimmanenten Hinweise und philologischen Details, wie im folgenden darzulegen ist. Vgl. GdS1, Abt. I, 1914, S. XI (MWG I/22-6 [[MWG I/24, S. 169]]); dort als Kapitel 8a) ausgewiesen.
Der abstrakte, auf typologische Erfassung abzielende Text „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“ enthält kaum historische Anspielungen, die eine präzise Datierung zuließen. Die im Text erwähnte „Parlaments- und Komiteeverwaltung“ als eine mögliche Form der legalen Herrschaftsausübung,
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der plötzliche Tempuswechsel bei den Ausführungen zum „Gottesgnadentum“ Vgl. unten, S. 728.
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sowie die Erwähnung der „Führer-Demokratie“ Vgl. unten, S. 741.
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weisen jedoch auf politische Entwicklungen gegen Ende des Ersten Weltkriegs und auf Max Webers Überlegungen zur politischen Neuordnung Deutschlands hin. Im einzelnen: 1. Die englische Komiteeverwaltung behandelte Weber in dem am 24. Juni 1917 publizierten Aufsatz über „Verwaltungsöffentlichkeit und politische Verantwortung“ als ein mar[719]kantes Beispiel für eine öffentlich kontrollierbare Verwaltung. Vgl. unten, S. 742.
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2. Während Weber in der älteren Fassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ noch von den „Prätentionen des heutigen ,Gottesgnadentums‘“ sprach und damit auf Äußerungen Wilhelms II. anspielte,[719] Weber, Max, Deutscher Parlamentarismus in Vergangenheit und Zukunft. III. Verwaltungsöffentlichkeit und politische Verantwortung, in: FZ, Nr. 172 vom 24. Juni 1917, 1. Mo.Bl., S. 1 f., hier: S. 2, dann überarbeitet in: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, MWG I/15, S. 486–507, hier: S. 489, 491 (fehlt in A). Vgl. auch die Erwähnung in: Weber, Politik als Beruf, MWG I/17, S. 211, sowie unten, S. 728, Anm. 6.
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heißt es im hier vorliegenden Text: „Dieser […] Begriff hatte da, wo er bestand, entscheidende Konsequenzen“. Vgl. den Text „Charismatismus“, oben, S. 466 mit Anm. 16.
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Diese Formulierung läßt darauf schließen, daß die Zeit des „Gottesgnadentums“ und seines bekanntesten Vertreters bereits abgelaufen war. Die faktische Machtausübung lag spätestens seit der Julikrise 1917 nicht mehr in den Händen Wilhelms II. Vgl. unten, S. 737; Hervorhebung im Zitat durch Hg.
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3. Auch die im Text „Die drei reinen Typen“ erwähnte Konzeption der „Führerdemokratie“ findet sich, wenn man nach Parallelerwähnungen im Gesamtwerk sucht, erst in der 1919 gehaltenen Rede „Politik als Beruf“ Vgl. dazu Mommsen, Wolfgang J., War der Kaiser an allem schuld? Wilhelm II. und die preußisch-deutschen Machteliten. – Berlin: Propyläen 2002, S. 245 ff.
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und in der 1919/20 abgefaßten ersten Lieferung zu „Wirtschaft und Gesellschaft“. Weber, Politik als Beruf, MWG I/17, S. 224.
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All dies spricht folglich für eine spätere Datierung des Textes „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“. Dies gilt ebenso für die Klassifizierung der alttestamentlichen Propheten als „charismatische Politiker“ bzw. „Demagoge[n]“ Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 156 f. (MWG I/23).
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– eine Einschätzung, zu der Max Weber erst im Zusammenhang seiner während des Ersten Weltkriegs wieder intensiv betriebenen Studien zum antiken Judentum gelangte. Der entsprechende Aufsatzteil wurde nach jetzigem Kenntnisstand im Sommer 1917 abgefaßt und erschien erst im Juni 1919. Vgl. unten, S. 736.
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Vgl. die Angaben unten, S. 736, Anm. 25, sowie die Ausführungen des Editors von MWG I/21, Otto, Eckart, Die Tora in Max Webers Studien zum antiken Judentum. Grundlagen für einen religions- und rechtshistorischen Neuansatz in der Interpretation des biblischen Rechts, in: Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 7. Jg., 2001, S. 1–188, hier: S. 46 f., der – gestützt auf Marianne Weber – eine Datierung der entsprechenden Passagen auf den Sommer 1917 nahelegt.
Weitere werkbiographische Vergleiche lassen die mit der „Charisma“-Konzeption verbundenen Neuerungen im hier edierten Text deutlich zutage treten. Die der „Führerdemokratie“ entsprechende Art der Besetzung einer Verbandsspitze charakterisierte Max Weber hier mit der singulären [720]Wortschöpfung „plebiszitärcharismatisch“.
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Diese Begriffsbildung hat in seinem gesamten Werk nur eine weitere Entsprechung und zwar in der ersten Lieferung von 1919/20, wo Weber „charismatisch-plebiszitär“ als „Glauben an den Führer“ umschrieb.[720] Vgl. unten, S. 728.
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In diesen sachlichen Zusammenhang gehört auch der im nachgelassenen Text eingeführte und konzeptionell wichtige Gedanke der „antiautoritäre[n] Umdeutung des Charisma“, Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 168 (MWG I/23).
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der sich in dieser prägnanten Formulierung weder in der älteren Fassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ noch in der frühen Fassung der „Einleitung“ zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ 1915 findet, sondern nur im hier vorliegenden Text und – in wortgleicher Wendung – im entsprechenden Abschnitt der ersten Lieferung. Hier nach: Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 157 (MWG I/23).
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Daß „die freie Anerkennung durch die Beherrschten ihrerseits die Voraussetzung der Legitimität und ihre Grundlage sei“, könnte man – so Weber am Ende des Textfragments „Die drei reinen Typen“ – als „demokratische Legitimität“ bezeichnen. Vgl. unten, S. 741, und Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 155 (MWG I/23); beide Male lautet der Satz: „Das seinem primären Sinn nach autoritär gedeutete charismatische Legitimitätsprinzip kann antiautoritär umgedeutet werden.“
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Diesen Gedanken hatte Max Weber, wie ein Zeitungsbericht ausführt, in seinem Wiener Vortrag über „Probleme der Staatssoziologie“ am 25. Oktober 1917 exponiert behandelt, so daß sogar von einem eigenen, vierten Legitimitätstypus berichtet wurde. Vgl. unten, S. 742.
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Sachlich entsprechende Ausführungen finden sich ebenfalls wieder in der ersten Lieferung. Vgl. Weber, Probleme der Staatssoziologie, unten, S. 755.
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Die angeführten Textbeispiele, die insbesondere die charismatische Herrschaft und deren Umbildung betreffen, greifen die am Ende des Weltkrieges bedeutsam werdenden Fragen der Demokratisierung auf und stehen, was kategoriale Präzisierungen betrifft, in engem zeitlichen Zusammenhang zu Max Webers Arbeiten der Nachkriegsjahre. Somit käme der Zeitraum zwischen dem Sommer 1917 und der Abfassung der ersten Lieferung in den Jahren 1919/20 für die Entstehung des nachgelassenen, hier edierten Textes „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“ in Frage. Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 156 (MWG I/23) – „demokratische Legitimität“.
Die bisher herangezogenen Textbeispiele finden sich mehrheitlich in der Schlußpassage des Textfragments und könnten auf einer späteren Ergänzung beruhen. Gegen diese Annahme sprechen zunächst die Homogenität und Stringenz des Textes, die auf eine konzentrierte Niederschrift ohne weitere Bearbeitungsstufen hindeuten. Der Text weist aber auch in [721]seinen Anfangspassagen kategoriale Besonderheiten auf, die ebenfalls eindeutig auf eine späte Datierung schließen lassen. Vorrangig gilt dies für die Leitkategorien der „legalen“ und „traditionalen Herrschaft“; diese kommen in dieser prägnanten Formulierung in den Vorkriegstexten zur „Herrschaftssoziologie“ nicht vor, d. h. auch nicht in der Erstfassung der „Einleitung“ zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“. Der „rationale“ Typus der Herrschaft wurde hier erst im Zuge der Überarbeitung 1919/20 in den „legale[n]“ umgeändert.
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Obwohl der Zusammenhang von Legitimität und Legalität der Herrschaft in der frühen Fassung der „Einleitung“ bereits angedacht war,[721] Vgl. MWG I/19, S. 126 mit der textkritischen Anmerkung h.
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fehlte aber die für die Typologisierung entscheidende adjektivische Zuordnung. Diese findet sich in den Nachschriften zur Münchener Vorlesung 1920, Weber, Einleitung, S. 29 (MWG I/19, S. 129).
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in der ersten Lieferung zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ Kollegnachschrift Erwin Stölzl, Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, S. [6] (hinfort: Kollegnachschrift Stölzl).
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und in dem hier edierten Text. Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 124–126 (MWG I/23).
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Das gleiche gilt für die Kategorie der „traditionalen Herrschaft“. Vgl. unten, S. 726–730.
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Vgl. unten, S. 731 f.; Weber, Politik als Beruf, MWG I/17, S. 160; Kollegnachschrift Stölzl (wie oben, Anm. 28), S. [8]; Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 124, 130 f., 133, 137, 141 (MWG I/23).
Weite Passagen des nachgelassenen Textfragments weisen in der Charakterisierung der Herrschaftstypen große Ähnlichkeiten mit den Ausführungen in der ersten Lieferung zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ auf. Dies betrifft insbesondere die Beschreibung der Beamtenherrschaft
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und die Darstellung der Nachfolgeregelung bei charismatischer Herrschaft. Vgl. unten, S. 726 f., und die Entsprechung in: Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 125–127 (MWG I/23).
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Auffällig ist außerdem die Konzentration auf die patriarchale und ständische Verwaltungsstruktur als Hauptformen der traditionalen Herrschaftsausübung, Vgl. unten, S. 739–742, und dazu: Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 143 f. (MWG I/23).
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ganz im Gegensatz zur älteren Fassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“, wo patrimoniale und feudale Herrschaftsstrukturen im Vordergrund standen. Diese Akzentuierung steht somit der Systematik der ersten Lieferung wesentlich näher. Der Abschnitt über die traditionale Herrschaft weist noch zwei weitere Besonderheiten auf: Obwohl Max Weber bereits in der älteren Fassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ vom Machtkampf [722]der Stände gegen den Herrn sprach, belegte er diesen erst im hier vorliegenden Textfragment – und in der ersten Lieferung – mit dem terminus technicus der „ständischen Gewaltenteilung“. Vgl. unten, S. 730 f., und dazu: Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 133 f. (MWG I/23).
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Vergleichbares gilt auch für die Verwendung des Begriffs „Staatssoziologie“.[722] Vgl. unten, S. 731–733, Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 137 f., 158, 161, 166 (MWG I/23).
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Weber kündigte in der „Einteilung“ vom Juni 1914 zwar ein Kapitel über die „Entwicklung des modernen Staates“ an, betitelte es aber nicht als „Staatssoziologie“. Vgl. unten, S. 732.
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Das offene Bekenntnis zu einer solchen erfolgte erst im Kontext der Berufungsverhandlungen für den Wiener Lehrstuhl im Herbst 1917, wo Weber die „Staatssoziologie“ expressis verbis in seinen geplanten Vorlesungskanon aufnahm Vgl. GdS1, Abt. I, 1914, S. XI (MWG I/22-6 [[MWG I/24, S. 169]]); dort als Kapitel 8d) ausgewiesen.
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und einen öffentlichen Vortrag über „Probleme der Staatssoziologie“ hielt. Brief Max Webers an Victor Schwoerer (Badisches Unterrichtsministerium) vom 14. Nov. 1917, GLA Karlsruhe 235/2643, Bl. 193–195 (MWG II/9); dort heißt es: „Als Vorlesungen würden neben der allgemeinen Soziologie Staatssoziologie[,] Religionssoziologie und Rechtssoziologie in Betracht kommen.“
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Den für Wien geäußerten Plan löste Weber im Sommersemester 1920 in München mit seiner Vorlesung zur „Allgemeinen Staatslehre und Politik (Staatssoziologie)“ ein Weber, Probleme der Staatssoziologie, unten, S. 745–756.
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und nahm ein entsprechendes Kapitel fest in die Planungen für die Neufassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ auf, wo mehrfach auf die „Staatssoziologie“ verwiesen wird. Vgl. Ludwig-Maximilians-Universität München, Verzeichnis der Vorlesungen Sommer-Halbjahr 1920. – München: Rieger und Lindauer 1920, S. 11 (MWG III/7).
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Weber, Die Typen der Herrschaft, WuG1, S. 168; dort dreimal (MWG I/23).
Die hier zusammengestellten Indizien sprechen dafür, daß der postum veröffentlichte Text „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“ in dem Zeitraum zwischen dem Sommer 1917 und der Neufassung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ 1919/20 entstanden ist. Das nachgelassene Fragment, das sich in weiten Teilen wie eine Stoffgliederung mit kaum ausformulierten Sätzen liest, könnte Weber als Wiedereinstieg in die Herrschaftsthematik, eventuell zur Vorbereitung seines Wiener Vortrags über „Probleme der Staatssoziologie“ am 25. Oktober 1917, aber auch als ein neuer Anlauf für die Ausarbeitung seines Beitrags „Wirtschaft und Gesellschaft“ gedient haben, nachdem er diese mit Kriegsausbruch abrupt beendet hatte. In den seit Sommer 1917 laufenden Wiener Berufungsverhandlungen teilte Max Weber mit, daß er „Wirtschaft und Gesellschaft“ erst fertigstellen müsse, bevor er die Lehrtätigkeit aufnehmen könne.
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Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu „Probleme der Staatssoziologie“, unten, S. 747 f. mit Anm. 12.
[723]Dies geschah im Sommer 1918, wo Weber von April bis Juli über „Wirtschaft und Gesellschaft (Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung)“ Ias.
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Der späteste Abfassungszeitpunkt ist durch die Niederschrift der ersten Lieferung zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ markiert, die Weber im Sommer 1919 aufnahm und dann parallel zu seinen Münchener Vorlesungen fortführte.[723] Vgl. Öffentliche Vorlesungen an der k.k. Universität zu Wien im Sommer-Semester 1918. – Wien: Adolf Holzhausen 1918, S. 10.
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Wahrscheinlicher ist jedoch, daß „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“ bereits vor dem 28. Januar 1919 abgefaßt waren, als Weber seine Rede „Politik als Beruf“ hielt, in der er einleitend die Grundlagen der Herrschafts- und Legitimitätslehre skizzierte und die kategorialen Neuerungen mitführte, sich also vermutlich auf die systematischen Überlegungen und neuen Begrifflichkeiten des überlieferten Textfragments stützte. Wegen dieser Neuerungen kommt dem Textfragment eine entscheidende Funktion in der Werkgeschichte von „Wirtschaft und Gesellschaft“, als Zwischenglied zwischen der älteren zur jüngeren Fassung, zu. Aus diesem Grund wird es im Kontext der „Herrschaftssoziologie“ ediert. Max Weber stellte seinem Verleger Paul Siebeck bereits am 20. Juni 1919 den „Anfang von ,Wirtschaft und Gesellschaft‘ (G.d.S.Ö.)“ in Aussicht (Brief vom 20. Juni 1919, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/10) und vertröstete ihn mit der Fortsetzung. Das Herrschaftskapitel scheint Weber erst Ende März 1920 an den Verlag geschickt zu haben, vgl. den Brief von Max Weber an Paul Siebeck vom 1. Apr. 1920 (ebd.).
Zur Überlieferung und Edition
Am 31. Dezember 1921 kündigte der Verlag Georg Stilke im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ das Erscheinen von Heft 1 des 187. Bandes der „Preußischen Jahrbücher“ für den 4. Januar 1922 an und warb mit dem Inhalt des Heftes.
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An erster Stelle wurde Max Webers nachgelassener Text „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“ genannt. Oskar Siebeck, in dessen Verlag Max Webers „Gesammelte Aufsätze“ und „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienen, reagierte umgehend auf die Annonce und teilte Marianne Weber am 3. Januar 1922 seine Irritation mit, „daß im Januarheft der ,Preußischen Jahrbücher‘ ein Teil der Soziologie Max Webers zur Veröffentlichung gelangt, dessen Erscheinen im ,Grundriß‘ nach unseren bisherigen Verabredungen noch ziemlich lange stehen wird. Eine so frühzeitige Vorveröffentlichung ist auf den Absatz des Wer[724]kes nicht unbedenklich. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß wir bei unseren bisherigen Besprechungen eine derartige Möglichkeit ins Auge gefaßt haben.“ Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 88. Jg., Nr. 305 vom 31. Dez. 1921, S. 15 000.
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Marianne Weber antwortete Oskar Siebeck am 7. Januar beschwichtigend: „Über den Artikel in den pr[eußischen] Jahrbüchern werde ich Sie völlig beruhigen können, wenn Sie ihn in Fahnen sehen.“[724] Brief von Oskar Siebeck an Marianne Weber vom 3. Jan. 1922, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446.
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Oskar Siebeck war bereits wegen eines länger geplanten Besuchs in Heidelberg angereist und traf Marianne Weber offensichtlich noch am selben Tag zu einer Besprechung über die laufenden Buchprojekte in deren Wohnung. Zu den Hauptpunkten des Gesprächs sind Notizen von Oskar Siebeck überliefert, die aber über die separate Veröffentlichung des Aufsatzes nichts vermerken. Brief von Marianne Weber an Oskar Siebeck vom 7. Jan. 1922 (ebd.), adressiert an das Hotel Viktoria in Heidelberg.
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Die drei überlieferten Notizzettel mit dem Vermerk „7.1.22“ finden sich in der überlieferten Verlagskorrespondenz (ebd.).
Wie der nachgelassene Text Max Webers an die Redaktion der „Preußischen Jahrbücher“, einer der führenden politischen Zeitschriften des Kaiserreichs, gelangte, bleibt unklar. Max Weber selber hat zu Lebzeiten keinen Artikel in der von Hans Delbrück zwischen 1889 und 1919 im freikonservativen Sinn geprägten Zeitschrift publiziert.
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Die Frage, ob Marianne Weber selber Kontakt zu den „Preußischen Jahrbüchern“ aufnahm, oder ob der neue Herausgeber Walther Schotte, der die Zeitschrift im Dezember 1919 übernommen hatte, sich direkt an sie wandte, konnte nicht geklärt werden, da weder ein persönlicher noch ein Nachlaß der Zeitschriftenredaktion noch des Verlages Georg Stilke überliefert ist. Immerhin könnte die Initiative von Schotte ausgegangen sein, der zum Kreis um Friedrich Naumann gehört hatte, Vgl. dazu den Exkurs „Hans Delbrück und die ,Preußischen Jahrbücher‘“ bei vom Bruch, Rüdiger, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im wilhelminischen Deutschland (1890–1914). – Husum: Matthiesen 1980, S. 427 f.
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und schon während des Weltkrieges Max Webers Schrift „Wahlrecht und Demokratie in Deutschland“ mitherausgegeben hatte. Dies geht aus dem Briefwechsel zwischen Walther Schotte und Hans Delbrück am 20. und 24. Okt. 1921, SBPK Berlin, Nl. Delbrück/Schotte, Walther, Bl. 9, 22–25, hervor.
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Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu „Wahlrecht und Demokratie in Deutschland“, MWG I/15, S. 344 f.
Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Edition liegt der Text zugrunde, wie er postum unter dem Titel „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. Eine soziologische Studie“, in: Preußische Jahrbücher, Band 187, Heft 1, Januar 1922, S. 1–12 (A), erschienen ist.
[725]Auf die Wiedergabe des Untertitels „Eine soziologische Studie“ wird verzichtet, weil es sich wahrscheinlich – wie im Fall der separaten Ausgabe der „Stadt“-Studie – um einen Zusatz der Erstherausgeber gehandelt hat.
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Der sehr präzise und elaborierte Haupttitel dürfte auf Max Weber selbst zurückgehen und wird daher als Textbestandteil ediert. Die Textwiedergabe weist eine Häufung von Lesefehlern und Textverderbnissen auf,[725] Vgl. den analogen Fal bei der Herausgabe der „Stadt“, MWG I/22-5, S. 55 f.
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die auf Probleme der Setzerei mit einer handschriftlichen bzw. weitgehend handschriftlich bearbeiteten Vorlage Max Webers schließen lassen. Vgl. z. B. unten, S. 733 mit textkritischer Anm. l, S. 737 mit textkritischer Anm. m, n, S. 738 mit textkritischer Anm. p, S. 739 mit textkritischer Anm. s und S. 740 mit textkritischer Anm. t.
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Besonders auffällig sind Formulierungen, wie z. B. das „Außerwerktägliche“, Vgl. dazu Zur Edition dieses Bandes, oben, S. 97.
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„außerwerktäglich“ Unten, S. 734 mit Anm. 15.
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oder „unwerktäglich“, Unten, S. 736 mit Anm. 24.
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die in den von Max Weber autorisierten Texten nicht vorkommen. Dort heißt es „außeralltäglich“ usw. Unten, S. 734 mit Anm. 16.
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Da jedoch in diesen Fällen nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, ob es sich in der hier vorliegenden Textüberlieferung um sprachliche Varianzen Max Webers handelt oder um eine fehlerhafte Entzifferung des Setzers, bleiben die überlieferten Schreibweisen erhalten. Vgl. z. B. Weber, Einleitung, MWG I/19, S. 90, 99 f., 113, 120 und 122.